Aktuell Italien Albanien 22. Januar 2024

Italien: Parlament sollte umstrittenes "Memorandum of Understanding" mit Albanien ablehnen

Das Bild zeigt einen Mann mit einem Protestschild

Protest gegen die Asylpolitik der italienischen Regierung in Bologna am 14. Oktober 2023

Italienische Abgeordnete debattieren derzeit über ein "Memorandum of Understanding" mit Albanien: Menschen, die von italienischen Schiffen aus Seenot gerettet werden, sollen demnach in albanische Haftzentren gebracht werden. Dieses Vorgehen ist unmenschlich und völkerrechtswidrig. Amnesty International fordert daher das italienische Parlament auf, das Memorandum abzulehnen.

Das Vorhaben, Haftzentren für Schutzsuchende in Albanien zu errichten, ist Teil einer breiteren internationalen Entwicklung, Grenzkontrollen und Asylverfahren in Drittländer zu verlagern: ein Schritt, der die Rechte Schutzsuchender gefährdet und zu größerem Leid führen könnte.

"Dieser weitere Versuch, Völkerrecht und EU-Recht durch eine Auslagerung von Asylverfahren in Drittstaaten zu umgehen, ist beschämend. Das Memorandum könnte schwerwiegende Folgen für Asylsuchende haben", erklärt Matteo de Bellis, Researcher für Asyl und Migration bei Amnesty International. 

"Das Memorandum ist undurchführbar, rechtswidrig und gefährdet Schutzsuchende. Menschen in Not wären langen und unnötigen Transfers auf dem Seeweg ausgesetzt und könnten ohne Einzelfallprüfung in eine möglicherweise lange Haft kommen. Das verstößt gegen das Völkerrecht." 

In einer neuen, umfassenden Analyse äußert sich Amnesty International besorgt über die zu erwartenden menschenrechtlichen Folgen des Memorandums.

Zwischen dem zentralen Mittelmeer, wo sich die meisten Überfahrten und Schiffbrüche ereignen, und Albanien liegen Hunderte von Seemeilen. Das Memorandum verstößt daher eindeutig gegen die völkerrechtliche Verpflichtung Italiens, aus Seenot gerettete Personen in den nächstgelegenen sicheren Hafen zu bringen. 

Die Einigung stellt außerdem die grundsätzliche völkerrechtliche Verantwortungsteilung im Bereich der Seenotrettung in Frage, was die Sicherheit von Menschen in Seenot weiter gefährden könnte.

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Das geplante Konzept sieht vor, dass Italien die vollständige rechtliche und administrative Verantwortung für die Haftzentren in Albanien behalten soll. In diesem Punkt unterscheidet sich das Memorandum von anderen Externalisierungsversuchen europäischer Länder, wie zum Beispiel der Einigung zwischen Großbritannien und Ruanda. Die Anwendung italienischen Rechts und der Zugang zu italienischen Gerichten soll die Einhaltung von Verfahrensgarantien im Einklang mit italienischem und europäischem Recht versprechen. In der Realität könnte der Zugang zu Rechtschutz jedoch erheblich erschwert sein.

Alle Personen, die in die Zentren in Albanien gebracht werden, einschließlich der Asylsuchenden, würden ohne jede Einzelfallprüfung automatisch inhaftiert werden. Eine pauschale Inhaftierung ohne Einzelfallprüfung ist von Natur aus willkürlich und daher rechtswidrig. In Verbindung mit den jüngsten Änderungen des italienischen Rechts könnte das Memorandum dazu führen, dass Menschen mehr als 18 Monate lang ununterbrochen inhaftiert werden. Darüber hinaus wäre es in der Praxis sehr schwierig, Rechtsbeistand zu erhalten, um von Albanien aus in Italien die Rechtmäßigkeit der Inhaftierung anzufechten, was das Risiko einer langen willkürlichen Inhaftierung noch erhöht. 

Das Memorandum könnte außerdem dazu führen, dass die Rechte von Kindern, schwangeren Frauen und Überlebenden von Menschenhandel und Folter, sowie von anderen vulnerablen Gruppen weiter unterlaufen werden. Aus der Einigung geht nicht hervor, wie solche Vulnerabilitäten festgestellt werden sollen oder wie sichergestellt werden könnte, dass diese Personengruppen nicht inhaftiert werden und besonderen Schutz erhalten. 

"Kinder, Schwangere und Überlebende von Menschenhandel und Folter müssen lange und unnötige Transfers auf dem Seeweg auf sich nehmen. Aufgrund etwaiger Mängel im Screening-Verfahren wären sie möglicherweise weiteren Gefahren ausgesetzt. Menschen, die in Albanien von Bord gehen, würden willkürlich inhaftiert. Bei dem Zugang zum Recht auf Asyl und zu effektivem Rechtsschutz stünden Schutzsuchende vor großen Herausforderungen", sagt Matteo de Bellis. 

"Anstatt eine nicht durchführbare und menschenrechtswidrige Einigung im Parlament zu ratifizieren, sollten die italienischen Abgeordneten Maßnahmen unterstützen, die eine menschenrechtskonforme Aufnahme Schutzsuchender in Italien gewährleisten. Dazu gehört der effektive Zugang zu dem Recht auf Asyl und der Ausbau sicherer und legaler Zugangswege nach Europa, insbesondere für Schutzsuchende."

Hintergrund 

Am 6. November 2023 unterzeichnete die italienische Regierung ein "Memorandum of Understanding" mit Albanien über den Bau von zwei Aufnahmeeinrichtungen auf albanischem Hoheitsgebiet, in denen Menschen, die von italienischen staatlichen Schiffen auf See gerettet wurden, ohne Einzelfallprüfung inhaftiert werden sollen. Das Abkommen sieht eine Auslagerung von Asylverfahren und eine Inhaftierung der Asylsuchenden vor, um rechtskräftig abgelehnte Asylsuchende abzuschieben. Diese Maßnahmen haben das erklärte Ziel, Menschen von der Flucht und der Überfahrt auf See abzuschrecken.  

In Albanien wurde die Ratifizierung des Memorandums vorübergehend ausgesetzt, während das Verfassungsgericht die verfahrensrechtliche Rechtmäßigkeit des Memorandums überprüft.

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