Kultur Belarus 01. Juni 2021

Das filmische Gedächtnis einer Protestbewegung

Eine Frau schwingt die belarussische Flagge bei einer Demonstration vor Panzern und Sicherheitskräften.

Szene aus dem Dokumentarfilm "Courage" über die Protestbewegung in Belarus

Aliaksei Paluyans "Courage" ist der meisterhafte filmische Kommentar zu den Protesten gegen die Politik und Herrschaft von Weißrusslands Präsident Alexander Lukaschenko.

Von Jürgen Kiontke

 

"Sie stellen dich immer an dieselbe Mauer. Es gibt immer dieselben Schläge. Das wird von einer Generation Soldaten an die nächste vererbt. Das ist mir entschieden zu unkreativ."

Denis Tarasenko kommentiert die staatlichen Reaktionen auf die großen Demonstrationen in Weißrussland im Zuge der
Präsidentschaftswahlen im Sommer 2020 recht lakonisch. Zum Lachen ist ihm dabei allerdings nicht. Der Schauspieler verdingt sich in einer Autowerkstatt, statt auf der Bühne zu stehen. Als Mitglied der Minsker Untergrund-Compagnie "Belarus Free Theatre" ist ein Auftritt ökonomisch unsicher und politisch gefährlich – mit einer Razzia und Verhaftungen ist ständig zu rechnen. Es hagelt Berufsverbote, für politische Künstler existieren schwarze Listen, sie dürfen von Staats wegen nicht engagiert werden. Da ist es besser, man hat noch eine andere Beschäftigung in petto.

Regisseur Aliaksei Paluyan porträtiert Tarasenko und dessen Theaterkollegen Maryna Yurevich und Pavel Haradnitski in seinem Dokumentarfilm "Courage". Und diese Courage, das stellt sich hier recht schnell heraus, braucht man, um sich mit dem seit Jahrzehnten regierenden Staatschef Alexander Lukaschenko anzulegen. Der nahm Proteste gegen den von ihm proklamierten erdrutschartigen Wahlsieg persönlich. Im ganzen Land fanden Proteste statt, Tausende zogen auf die Straßen. Und trafen auf brutale Sicherheitskräfte, die nicht davor zurückschreckten, die Demonstrationen zusammenzuknüppeln. Amnesty International berichtet schwere Misshandlungen, es traf wahllos Journalisten, Gewerkschafter und sogar Sanitäter. Viele wurden gekidnappt. Es hagelte Verhaftungen, sogar Todesurteile ergingen, die für landesweite Empörung sorgten. Und so kann aus einer Trauerfeier für Verschwundene schnell eine Massendemonstration werden.

Paluyans Film ist mittendrin – er ist ein Zusammenschnitt dieser Ereignisse, er bietet viel Raum, in dem Demonstranten, aber auch Soldaten des Regimes Lukaschenko zu Wort kommen. Glücklich mit den Entwicklungen in dem Land, das als Europas letzte Diktatur gilt, sind auch letztere nicht. Bereitwillig lassen sie sich Blumen an die Metallschilder heften und reden mit den Demonstranten. Prügeln und verhaften tun sie dennoch – Befehl ist Befehl.

Der Trailer zum Film

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Paluyans Protagonisten zeigen ihren Alltag, sie erliegen dem Sog der Proteste, sind aktiver Teil. Und dennoch haben wir auch Anteil an ihrem Privatleben. Bei allen rasanten Schnitten und wackligen Kamerafahrten ist immer auch Zeit für Pausen. Das Spiel mit der Katze, Kochen in der Küche, eine Stand-up-Gesangseinlage.

Das Theater besteht seit rund 15 Jahren, der Gründer und Regisseur Nikolai Chalezin ist bereits vor einigen Jahren mit Ehefrau und Kollegin Nathalia nach London geflüchtet. Proben leitet er per Skype.

Wovon handeln die Stücke? Von dem, was sich auf der Straße abspielt. Polizistendarsteller foltern Demonstrantendarsteller. Für die Stoffe muss man hier nicht weit laufen. Und immer wieder wurden die Mitglieder des Theaters auch selbst inhaftiert, bei der  Arbeit behindert. Stücke wurden schon mal unter dem Vorwurf des "Satanismus" verboten.

"72 Prozent der Belarussen finden es schwierig, das Wort 'Demokratie' zu definieren", so lautet eine eingeblendete Sprechblase auf dem Bühnenprospekt eines der Stücke des freien belarussischen Theaters. Ja, auch an Flucht denke sie immer wieder, sagt Yurevich, nach Polen oder in die Ukraine. "Aber wir wollen einen Wechsel, das ist in unserem Herzen, unseren Augen. In unserem Lachen", wie Tarasenko im Film sagt.

"Courage" ist ein sehr persönlicher Blick auf den Kampf zwischen Lukaschenkos Regime und der – künstlerischen - Opposition, der hier gezeigt wird. Das Publikum ist nah dran an den Prozessen, die sich in Belarus abspielen. Hier wird nicht nur abgefilmt, der Film ist selbst wie ein gut arrangiertes Theaterstück. Ein Plädoyer, ein cineastisches Gedächtnis für eine im Aufbau begriffene Zivilgesellschaft, für demokratische Aktionsformen – er soll inspirieren, Mut machen. Wie Paluyan berichtet, gelang es ihm im Herbst 2020 gerade noch, das Filmmaterial außer Landes zu bringen, bevor die Grenzen für Filmemacher und Medienvertreter mehr oder weniger abgeriegelt wurden.

 

"Courage". D 2021. Regie: Aliaksei Paluyan.



D
er Film startet am 1. Juli bundesweit in den deutschen Kinos. Auf dem Berlinale Summer Open Air läuft "Courage" am 11. (Freiluftkino Museumsinsel) und 13. Juni (Freilichtbühne Weißensee). Karten-Infos auf www.berlinale.de

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