Amnesty Report Zypern 28. März 2023

Zypern 2022

Ein Mann mit Rucksack und einer Decke unter dem Arm steht vor einem mit Tonnen und Stacheldraht versperrten Bereich auf einer Straße.

Ein geflüchteter Mann steht vor der UN-Sicherheitszone in Nikosia auf der Insel Zypern (Archivbild vom 15. Februar 2019).

Berichtszeitraum: 1. Januar 2022 bis 31. Dezember 2022

Flüchtlinge und Asylsuchende berichteten über Pushbacks in den Libanon. Der Oberste Gerichtshof Zyperns hob die Verurteilung einer britischen Studentin auf, die 2019 der Falschaussage zu einer Vergewaltigung für schuldig befunden worden war.

Hintergrund

Im Hinblick auf die Wiederaufnahme umfassender Verhandlungen von griechisch-zypriotischen und türkisch-zypriotischen Vertreter*innen zur Beilegung der jahrzehntelangen Auseinandersetzungen über die Verwaltung der Insel (Zypernkonflikt) gab es keine Fortschritte.

Rechte von Flüchtlingen und Migrant*innen

Die Anti-Rassismus-Organisation KISA berichtete über Vorfälle von Gewalt und Befürwortung von Hass bei zwei migrant*innenfeindlichen Demonstrationen, die im Januar 2022 stattfanden und sich gegen syrische Flüchtlinge richteten, die in der Ortschaft Chlorakas in einem Wohnkomplex lebten. Die Polizei griff laut KISA nicht ein. Die Organisation berichtete zudem, dass Doros Polykarpou, ein KISA-Mitglied, während der zweiten Demonstration bedroht und rassistisch beleidigt worden war. Die Ergebnisse einer Untersuchung dieser Vorfälle durch die unabhängige Beschwerdestelle der Polizei waren bis zum Ende des Jahres noch nicht bekannt.

Der UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes äußerte im Juni 2022 Besorgnis über die Situation minderjähriger Geflüchteter, Asylsuchender und Migrant*innen im Land. Unter anderem wurde kritisiert, dass in den Aufnahmeeinrichtungen unangemessene Lebensbedingungen herrschten und der Zugang zu Bildung und Gesundheitsversorgung unzulänglich war. Der Ausschuss wies zudem mit Sorge auf Pushbacks und Abschiebungen hin.

Im August 2022 prangerten Menschenrechtsorganisationen zwei neue Pushbacks in den Libanon an. Unter anderem waren im Juli 52 Überlebende eines Schiffsunglücks zurückgeschoben worden. Laut Angaben der Betroffenen wurden sie vor ihrer Abschiebung von den zyprischen Behörden unter unmenschlichen Bedingungen festgehalten und misshandelt. In einem vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte anhängigen Fall machten zwei syrische Staatsangehörige mehrere Menschenrechtsverletzungen durch die zyprischen Behörden geltend. Sie seien u. a. summarisch in den Libanon abgeschoben worden, wo sie der Gefahr einer Kettenabschiebung nach Syrien ausgesetzt waren.

Im September 2022 warteten mehr als 27.000 Asylanträge auf ihre erstinstanzliche Bearbeitung, Ende 2021 waren es noch 16.994 gewesen.

Straflosigkeit

Im September 2022 hieß es in einem dem Generalstaatsanwalt vorgelegten Bericht, dass es sich bei dem Tod des Armeerekruten Athanasios Nikolaou im Jahr 2005 um Mord gehandelt habe und die polizeiliche Untersuchung von schweren Mängeln gekennzeichnet gewesen sei. Im Oktober wurde eine neue polizeiliche Untersuchung des Falls angeordnet. Die Familie von Athanasios Nikolaou bemängelte, dass sie keinen ausreichenden Zugang zu den Erkenntnissen des Berichts erhalten habe, und äußerte Besorgnis über den Fortschritt der neuen Untersuchung. Im Jahr 2020 war festgestellt worden, dass Zypern gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstoßen hatte, weil der Fall nicht wirksam untersucht worden war.

Gewalt gegen Frauen und Mädchen

Im Januar 2022 hob der Oberste Gerichtshof Zyperns die Verurteilung einer britischen Studentin aus dem Jahr 2019 wegen Falschaussage auf. Die Studentin hatte angegeben, Opfer einer Gruppenvergewaltigung geworden zu sein, den Vorwurf später aber zurückgenommen – wie sie angab, nach polizeilichem Druck. Der Gerichtshof entschied, dass die Untersuchung des Vergewaltigungsvorwurfs durch die Strafverfolgungsbehörden mit schweren Mängeln behaftet war. Nachdem der Generalstaatsanwalt einen Antrag auf Wiederaufnahme der Untersuchungen zurückgewiesen hatte, wurde Beschwerde vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eingereicht.

Verschwindenlassen

Der Ausschuss für vermisste Personen in Zypern (Committee on Missing Persons in Cyprus – CMP) hat zwischen 2006 und Dezember 2022 die sterblichen Überreste von 1.028 Personen – 736 griechischen Zypriot*innen und 292 türkischen Zypriot*innen identifiziert. Das CMP hat die Aufgabe, den Verbleib und das Schicksal von Personen zu ermitteln, die während des internen bewaffneten Konflikts von 1963 bis 1964 sowie im Jahr 1974 Opfer des Verschwindenlassens geworden sind.

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