Amnesty Report Kambodscha 29. März 2022

Kambodscha 2021

Eine lange Schlange von Schüler_innen mit Masken und Schuluniform.

Schüler_innen werden vor der Abschlussprüfung in Phnom Penh, Kambodscha, am 27. Dezember 2021 auf ihre Temperatur geprüft.

Berichtszeitraum: 01. Januar 2021 bis 31. Dezember 2021

Neue Gesetze zur Internetnutzung und zur Eindämmung der Coronapandemie führten zu einer weiteren Einschränkung der bürgerlichen und politischen Rechte. Verstöße gegen die Coronavorschriften und Kritik an der Regierung wurden mit Festnahme und Inhaftierung geahndet. Mitglieder der verbotenen Oppositionspartei CNRP wurden nach unfairen Massenprozessen zu langen Haftstrafen verurteilt. Umweltschützer_innen wurden ins Visier genommen und indigene Gemeinschaften an Naturschutzmaßnahmen gehindert. Die starke Überbelegung in Gefängnissen und Haftzentren für Drogenabhängige untergrub das Recht der Inhaftierten auf Gesundheit.

Hintergrund

Die im Jahr 2017 von der Regierung eingeleitete Unterdrückung unabhängiger Medien, zivilgesellschaftlicher Organisationen und der politischen Opposition setzte sich im Jahr 2021 fort. Die größte Oppositionspartei des Landes, die CNRP, blieb verboten, nachdem sie 2017 per Gerichtsbeschluss aufgelöst worden war. Die Antidrogenkampagne der Regierung ging in ihr fünftes Jahr.

Recht auf freie Meinungsäußerung

Am 16. Februar 2021 erließ Premierminister Hun Sen eine Verordnung zur Einrichtung eines sogenannten National Internet Gateway, die das Recht auf Privatsphäre untergrub und zur Selbstzensur führte. Die Verordnung schrieb vor, dass der gesamte Internetverkehr über eine zentrale Aufsichtsbehörde zu laufen habe, die die Online-Aktivitäten und die Internetanbieter überwacht, um die Identitäten der Internetnutzer_innen zu überprüfen. Laut der Verordnung konnten außerdem Netzwerkverbindungen, die "das nationale Steueraufkommen oder die Sicherheit, die soziale Ordnung, die Würde, die Kultur, die Traditionen oder die Bräuche beeinträchtigen", blockiert oder abgeschaltet werden.

Die Behörden nutzten die Coronapandemie weiterhin als Vorwand, um das Recht auf Meinungsfreiheit einzuschränken. Anfang März 2021 wurde Shen Kaidong, ein chinesischer Staatsbürger und Chefredakteur des chinesischsprachigen Medienunternehmens Angkor Today, des Landes verwiesen, weil er einen Artikel über Impfstoffe veröffentlicht hatte, den die Behörden als "Fake News" betrachteten. Im selben Monat verabschiedete die Nationalversammlung ein Coronagesetz, das schwere Strafen für Verstöße gegen die Coronabeschränkungen vorsah, darunter Haftstrafen von bis zu 20 Jahren.

Laut Angaben der lokalen NGO LICADHO wurden zwischen dem 10. und 25. April 2021 mindestens 258 Personen aufgrund des Coronagesetzes festgenommen, weil sie behördliche Maßnahmen missachtet hatten. 83 der Festgenommenen wurden strafrechtlich verfolgt und inhaftiert. Zahlreiche weitere Personen wurden festgenommen, weil sie die von der Regierung verordneten Coronamaßnahmen kritisiert hatten.

Recht auf Vereinigungsfreiheit

Mitglieder der verbotenen Oppositionspartei CNRP waren weiterhin willkürlicher Festnahme und strafrechtlicher Verfolgung sowie gewalttätigen Angriffen durch Unbekannte ausgesetzt. Anfang Januar 2021 begannen Massenprozesse gegen rund 150 hochrangige Funktionär_innen sowie weitere Mitglieder und Unterstützer_innen der CNRP. Viele der Anklagen hingen mit der für November 2019 geplanten Rückkehr von CNRP-Führern aus dem Exil nach Kambodscha zusammen, die von den Behörden als Putschversuch bezeichnet wurde. Am 1. März 2021 wurden neun hochrangige Parteifunktionär_innen auf der Grundlage der Paragrafen 27 und 451 des Strafgesetzbuchs in Abwesenheit wegen "versuchten Verbrechens" und "Angriffs" schuldig gesprochen. Der Mitbegründer der Partei, Sam Rainsy, wurde zu 25 Jahren Haft verurteilt. Die anderen Angeklagten erhielten Gefängnisstrafen zwischen 20 und 22 Jahren.

Am 9. November 2021 wurden die vom UNHCR als Flüchtlinge anerkannten CNRP-Unterstützer Veourn Veasna und Voeung Samnang aus Thailand nach Kambodscha abgeschoben und dort wegen "Aufwiegelung" und Verstößen gegen das Coronagesetz festgenommen. Regierungschef Hun Sen hatte zuvor die Festnahme von Veourn Veasna angeordnet, nachdem dieser ein Gedicht veröffentlicht hatte, in dem der Regierungschef kritisiert wurde. Veourn Veasna und Voeung Samnang befanden sich Ende des Jahres weiterhin in Untersuchungshaft.

Tätliche Angriffe auf CNRP-Mitglieder und -Unterstützer_innen wurden von den Behörden nicht untersucht. Im April wurde ein 16-jähriger CNRP-Unterstützer von zwei Männern angegriffen und musste danach mit einer Schädelfraktur ins Krankenhaus eingeliefert werden. Die Verantwortlichen wurden nicht ermittelt. Am 24. Juni 2021 wurde der CNRP-Unterstützer festgenommen und wegen "Aufwiegelung" und "Beleidigung von Staatsbediensteten" im Zusammenhang mit regierungskritischen Kommentaren in der Messaging-App Telegram angeklagt. Er erhielt eine achtmonatige Haftstrafe und wurde nach Verbüßen von viereinhalb Monaten im November freigelassen. Sein Vater, der im Jahr 2020 festgenommen worden war, war 2021 eines der zahlreichen CNRP-Mitglieder, die sich vor Gericht verantworten mussten.

Unterdrückung Andersdenkender

Die Behörden nutzten das Justizsystem, um Menschenrechtsverteidiger_innen und Umweltschützer_innen festzunehmen, anzuklagen und zu inhaftieren. Im August 2021 wurde der Gewerkschaftsführer Rong Chhun wegen "Anstiftung zu einer Straftat bzw. zur Verursachung sozialer Unruhen" zu einer zweijährigen Freiheitsstrafe verurteilt. Das Gerichtsverfahren gegen ihn war eingeleitet worden, nachdem er öffentlich den Verlust von Gemeindeland infolge der Demarkation der Grenze zwischen Kambodscha und Vietnam beklagt hatte. Die Oppositionsaktivist_innen Sar Kanika und Ton Nimol wurden wegen "Aufwiegelung" zu 20 Monaten Haft verurteilt, nachdem sie die Freilassung von Rong Chhun gefordert hatten. Zehn weitere Personen, die ebenfalls gegen die Inhaftierung von Rong Chhun protestiert hatten, wurden ebenfalls festgenommen und wegen "Aufwiegelung" angeklagt.

Umweltschützer_innen der Kampagnengruppe Mother Nature Cambodia (MNC) wurden das ganze Jahr über von der Justiz schikaniert. Im Mai 2021 wurden fünf MNC-Aktivist_innen wegen "Aufwiegelung" zu Haftstrafen zwischen 18 und 20 Monaten verurteilt, zwei davon in Abwesenheit. Sie waren festgenommen worden, weil sie einen Protestmarsch gegen das staatliche Vorhaben geplant hatten, den größten noch verbliebenen See in der Hauptstadt Phnom Penh zu privatisieren, aufzuschütten und zu bebauen. Im Juni wurden drei weitere MNC-Aktivist_innen jeweils wegen "Verschwörung" und/oder "Beleidigung des Königs" (lèse majesté) angeklagt. Eine weitere Person wurde im selben Fall in Abwesenheit angeklagt. Sie waren festgenommen worden, während sie die Flussverschmutzung in Phnom Penh untersuchten. Mitte November 2021 wurden 26 Aktivist_innen, darunter die MNC-Mitglieder sowie Rong Chhun und alle Personen, die aus Protest gegen seine Festnahme inhaftiert worden waren, auf freien Fuß gesetzt. Ihre Freilassung erfolgte unter verschiedenen Auflagen, darunter Einschränkungen ihrer Rechte auf Freizügigkeit, Vereinigungsfreiheit und friedliche Versammlung.

Umweltzerstörung und Rechte indigener Gemeinschaften

Indigene Gemeinschaften und zivilgesellschaftliche Waldschützer_innen wurden daran gehindert, auf ihrem angestammten Land Maßnahmen zur Erhaltung der Natur durchzuführen. Im Februar 2021 lehnte das Umweltministerium zum zweiten Mal in Folge einen Antrag des Netzwerks Prey Lang Community Network (PLCN) zur Durchführung seiner alljährlichen Baumsegnungszeremonie im Prey-Lang-Regenwald ab. Die meisten Mitglieder des PLCN gehörten der indigenen Gemeinschaft der Kuy an. Es war ihnen nach wie vor untersagt, das Naturschutzgebiet Prey Lang Wildlife Sanctuary zu betreten, um Gemeinschaftspatrouillen zur Verhinderung illegaler Rodung durchzuführen. Das Netzwerk Prey Preah Roka Forest Community Network wurde ebenfalls daran gehindert, in der Provinz Prey Vihear Waldpatrouillen durchzuführen.

Im September 2021 wurde das PLCN-Mitglied Chan Thoeun wegen "vorsätzlicher Gewalt unter erschwerenden Umständen" zu einer zweijährigen Haftstrafe auf Bewährung verurteilt. Zu der Anklage kam es nach einer Konfrontation mit einem mutmaßlich illegalen Holzfäller während einer Waldpatrouille im Jahr 2020. Im Februar 2021 nahmen Bedienstete des Umweltministeriums fünf Umweltschützer fest und inhaftierten sie willkürlich, weil sie den illegalen Holzeinschlag im Wald von Prey Lang untersucht hatten. Sie wurden drei Tage später wieder freigelassen, nachdem sie sich verpflichtet hatten, den Wald nicht ohne Genehmigung der Behörden zu betreten. Die Abholzungsrate stieg 2021 um mehr als 20 Prozent an, was schwerwiegende Auswirkungen auf das angestammte Land der indigenen Gemeinschaften hatte. Unternehmen, die an illegalem Holzeinschlag beteiligt waren, konnten weiterhin ungestraft tätig sein.

Recht auf Gesundheit

Im April 2021 verhängten die Behörden angesichts steigender Coronainfektionsraten in Teilen der Hauptstadt und anderen Städten strenge Lockdowns, die in einigen Fällen mehrere Wochen dauerten. In sogenannten "roten Zonen" war es den Menschen streng untersagt, ihre Häuser zu verlassen, was ihren Zugang zu Lebensmitteln, medizinischer Versorgung und anderen lebenswichtigen Gütern und Dienstleistungen stark beeinträchtigte. Humanitären Hilfsorganisationen wurde die Verteilung von Nahrungsmitteln und anderen Hilfsgütern an Bewohner_innen dieser Viertel untersagt. Einige Personen, die in den Sozialen Medien über ihre Sorgen sprachen oder um Hilfe baten, wurden von den Lokalbehörden bedroht und eingeschüchtert.

Die starke Überbelegung in Gefängnissen und Haftzentren für Drogenabhängige, die durch die Anti-Drogen-Kampagne noch verschärft wurde, verletzte weiterhin das Recht der Gefangenen auf Gesundheit. Die Zivilgesellschaft forderte wiederholt unverzügliche Maßnahmen, um die Ausbreitung des Coronavirus unter den Häftlingen einzudämmen, wie z. B. Alternativen zum Freiheitsentzug. Die Regierung ergriff jedoch nur begrenzte und unzureichende Maßnahmen.

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