Amnesty Report 07. April 2021

Burundi 2020

Zwei Frauen und zwei Männer lächeln mit Blumensträußen in den Händen in die Kamera.

Die Iwacu-Journalist_innen Agnès Ndirubusa, Christine Kamikazi, Egide Harerimana und Térence Mpozenzi nach ihrer Freilassung im Dezember 2020.

Im Jahr 2020 waren rechtswidrige Tötungen, willkürliche Festnahmen sowie Fälle von Verschwindenlassen und sexualisierter Gewalt zu verzeichnen, deren Opfer hauptsächlich Menschen waren, die als Oppositionelle galten. Die Rechte auf Meinungs-, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit blieben weiterhin eingeschränkt. Journalist_innen und Menschenrechtsverteidiger_innen waren aufgrund ihrer Arbeit Repressalien ausgesetzt. Es gab weiterhin Hassreden, die sich auf ethnische Zugehörigkeit bezogen. Der Präsident machte in seinen Reden homofeindliche Bemerkungen.

Hintergrund

Die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen im Mai 2020 führten nicht zu einer Verbesserung der Menschenrechtslage in Burundi. Zum Präsidenten wurde Evariste Ndayishimiye gewählt, der als Kandidat der Regierungspartei CNDD-FDD (Conseil National pour la Défense de la Démocratie – Forces pour la Défense de la Démocratie) angetreten war. Er wurde nach dem plötzlichen Tod von Präsident Pierre Nkurunziza am 8. Juni 2020 bereits Mitte Juni vereidigt. Das Kabinett legte Ende Juni den Amtseid ab. Der Regierungschef wurde ebenfalls in sein Amt eingeführt, das mit der Verfassung von 2018 neu geschaffen worden war. Im Mai fanden auch Kommunal- und Parlamentswahlen statt, die Wahlen für den Senat und die unterste Verwaltungsebene (collines) folgten im Juli und August. 

Es gab keine internationale Wahlbeobachtung bei den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen, was teilweise den Reisebeschränkungen aufgrund der Corona-Pandemie geschuldet war. Die Bischofskonferenz von Burundi äußerte sich besorgt über "mehrere Unregelmäßigkeiten", die ihre Beobachter festgestellt hatten. Das Verfassungsgericht erklärte am 4. Juni, die Wahlen seien "ordnungsgemäß" verlaufen.

Im Oktober erneuerte der UN-Menschenrechtsrat das Mandat der Unabhängigen Untersuchungskommission der Vereinten Nationen zu Burundi (United Nations Independent Investigation on Burundi – UNIIB).

Recht auf Gesundheit

Nach dem Ausbruch der Corona-Pandemie behaupteten Regierungsvertreter zunächst, das Land bleibe wegen seines "besonderen Bündnisses mit Gott" verschont. Ein Regierungssprecher drohte Ende März 2020 Schulen und anderen Einrichtungen mit Sanktionen, weil sie bereits vor der Regierung Maßnahmen zur Eindämmung des Corona-Virus ergriffen und beabsichtigt hätten, "die Öffentlichkeit zu manipulieren und zu verwirren". Die ersten von der Regierung angeordneten Maßnahmen umfassten eine Quarantäne für Reisende und Empfehlungen zum Händewaschen und zur Vermeidung von Begrüßungen mit Körperkontakt. Der internationale Flughafen war von Ende März bis Anfang November 2020 geschlossen. Im Wahlkampf und nach den Wahlen fanden weiterhin Massenveranstaltungen statt. Im Mai berichteten einige Ärzt_innen den Medien, dass nicht genug getestet werde und dass die tatsächliche Zahl der Corona-Todesfälle höher sei als offiziell angegeben. Mitte Mai 2020 verwies der Außenminister den Vertreter der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und drei medizinische Experten des Landes. Nach dem Tod des ehemaligen Präsidenten Nkurunziza vollzogen die Behörden eine Kehrtwende im Umgang mit der Pandemie. Der neue Präsident bezeichnete das Corona-Virus am 30. Juni 2020 als "Staatsfeind Nummer eins", und die Regierung begann mit Massentests.

Flüchtlinge und Asylsuchende

Die Regierung forderte burundische Flüchtlinge im Ausland weiterhin auf, in ihr Heimatland zurückzukommen. Es kehrten weitere burundische Flüchtlinge aus Tansania zurück, ab August 2020 auch aus Ruanda. Das Rückkehrprogramm wurde von den Regierungen und vom UN-Hochkommissar für Flüchtlinge (UNHCR) unterstützt. Die tansanischen Behörden nahmen mehrere Flüchtlinge aus Burundi fest, ließen sie verschwinden, folterten sie und hielten sie willkürlich in Haft. Einige wurden anschließend zur Rückkehr nach Burundi gezwungen. Zurückgekehrte Flüchtlinge hatten nach wie vor Schwierigkeiten, sich wieder zu integrieren, und wurden nur unzureichend unterstützt. Einige der Zurückgekehrten waren Drohungen und tätlichen Angriffen der Jugendorganisation der Regierungspartei Imbonerakure ausgesetzt, die ihnen vorwarf, sie würden die Opposition unterstützen.

Die pandemiebedingten Einschränkungen erschwerten die Asylsuche im Ausland. Von Januar bis Mitte März – im Vorfeld der Wahlen im Mai – suchten 3.242 Menschen in Nachbarstaaten Schutz. Von Mitte März an, als Grenzübertritte eingeschränkt wurden, bis Ende November registrierten die Nachbarländer lediglich 24 Neuankömmlinge aus Burundi.

Diskriminierung

Im Vorfeld der Wahlen forderten Mitglieder der Regierungspartei immer häufiger zu Gewalt gegen Angehörige der Opposition auf und rechtfertigten entsprechende Angriffe. Die Regierung unternahm nichts, um Personen, die für ethnisch motivierte Hassreden verantwortlich waren, zur Rechenschaft zu ziehen. Auch nach den Wahlen ging die Hetze weiter.

Frauengruppen kritisierten die Rede der Präsidentengattin Angeline Ndayishimiye Ndayubaha auf dem Women’s Leaders Forum im September 2020, in der sie erklärte, Burundi werde niemals eine Gleichstellung der Geschlechter erleben, und Bibelstellen zitierte, um ihre Ansicht zu untermauern. Im Familienrecht wurden Männer als Oberhaupt der "ehelichen Gemeinschaft" anerkannt.

Präsident Ndayishimiye äußerte sich in seinen Reden mehrfach homofeindlich. In seiner Rede zur Amtseinführung bezeichnete er gleichgeschlechtliche Ehen als "soziale Abweichung". Im August 2020 unterstellte er, dass Staaten, die Homosexualität akzeptierten, hohe Corona-Infektionszahlen hätten.

Recht auf freie Meinungsäußerung

Im Januar 2020 sprach ein Gericht die vier Journalist_innen Agnès Ndirubusa, Christine Kamikazi, Egide Harerimana und Térence Mpozenzi, die für die Online-Nachrichtenseite Iwacu arbeiteten, wegen eines "gescheiterten Versuchs" der Gefährdung der inneren Sicherheit schuldig. Sie waren im Oktober 2019 festgenommen worden, als sie unterwegs waren, um über bewaffnete Auseinandersetzungen in der Provinz Bubanza zu berichten. Das Gericht verurteilte sie zu zweieinhalb Jahren Haft und einer Geldstrafe von 1 Mio. Burundi-Franc (etwa 430 Euro). Ihr Fahrer Adolphe Masabarakiza wurde freigesprochen. Im Juni 2020 bestätigte das Berufungsgericht in Ntahangwa das Urteil. Im Dezember wurden die Journalist_innen jedoch vom Präsidenten begnadigt und freigelassen.

Der ehemalige Oppositionsabgeordnete Fabien Banciryanino wurde im Oktober 2020 festgenommen und wegen Rebellion, Verleumdung und Gefährdung der Staatssicherheit angeklagt. Gegenstand des Verhörs waren Parlamentsreden, in denen er die Regierung kritisiert hatte, was normalerweise im Rahmen der parlamentarischen Immunität möglich sein sollte.

Menschenrechtsverteidiger_innen

Im Fall des Menschenrechtsverteidigers Germain Rukuki hob der Oberste Gerichtshof im Juni 2020 die Entscheidung des Berufungsgerichts in Ntahangwa von 2019 auf. Dieses hatte die gegen Rukuki verhängte 32-jährige Haftstrafe bestätigt. Der Fall wurde an das Berufungsgericht zurückverwiesen, das in neuer Besetzung erneut darüber befinden muss.

Vor dem Obersten Gerichtshof wurde der Prozess gegen zwölf im Exil lebende Menschenrechtsverteidiger_innen und Journalist_innen fortgesetzt, die des "Aufstands" beschuldigt wurden. Den Angeklagten wurde eine Beteiligung am gescheiterten Putschversuch im Mai 2015 unterstellt, weil sie an Protesten gegen eine dritte Amtszeit des damaligen Präsidenten Nkurunziza teilgenommen hatten. Ihre Rechtsbeistände waren bei einer gerichtlichen Anhörung im Februar 2020 nicht anwesend.

Recht auf Vereinigungsfreiheit

Mitglieder der größten Oppositionspartei, Congrès National pour la Liberté (CNL), wurden bei ihren politischen Aktivitäten in vielfacher Weise behindert. In einigen Orten erhielten sie keine Erlaubnis, Parteibüros zu eröffnen, in anderen wurden ihre Büroräume verwüstet und zerstört. Während des Wahlkampfs hinderten lokale Behörden sie in einigen Fällen daran, Wahlkampfveranstaltungen abzuhalten. 

Die Behörden intensivierten ihre Bemühungen, internationale NGOs stärker zu kontrollieren. So verlangten sie u. a. personenbezogene Daten über die ethnische Zugehörigkeit des inländischen Personals. Im Mai 2020 wurde ein Präsidialdekret erlassen, das Ausschüsse ins Leben rief, die für das Personal internationaler NGOs zuständig sind. Vorgesehen waren Ausschüsse der Regierung in allen Provinzen, die sämtliche Einstellungen einheimischer Mitarbeiter_innen beaufsichtigen sollen und genehmigen müssen.

Verschwindenlassen

Nach wie vor gingen regelmäßig Berichte über Fälle von Verschwindenlassen ein, während entsprechende Fälle aus den Vorjahren nicht aufgeklärt wurden. Die UN-Arbeitsgruppe zur Frage des Verschwindenlassens von Personen legte den staatlichen Stellen 81 neue Fälle vor, die hauptsächlich aus den Jahren 2015 und 2016 stammten. Bis Ende 2020 hatte sich die Regierung nicht zu einem einzigen der insgesamt 156 Fälle geäußert, die die UN-Arbeitsgruppe den Behörden seit 2016 vorgelegt hat. Burundi hat das Internationale Übereinkommen zum Schutz aller Personen vor dem Verschwindenlassen zwar 2007 unterzeichnet, die Ratifizierung und Umsetzung des Übereinkommens stehen jedoch noch aus.

Willkürliche Festnahmen und Inhaftierungen

Der CNL teilte mit, dass mehr als 600 seiner Mitglieder, unter ihnen auch Kandidat_innen, vor den Wahlen und am Wahltag selbst festgenommen wurden. In einigen Fällen waren den Festnahmen Auseinandersetzungen mit Imbonerakure-Mitgliedern vorausgegangen. Mehrere CNL-Mitglieder wurden vor den Wahlen in Schnellverfahren verurteilt. Das gesamte Jahr über trafen Berichte über Festnahmen und Fälle von Verschwindenlassen von CNL-Mitgliedern ein.

Zwei Tage vor der Wahl forderte der Generalstaatsanwalt den Leiter der Nationalen Wahlbehörde in einem Schreiben auf, 59 CNL-Kandidat_innen von den Parlaments- und Kommunalwahlen auszuschließen, da gegen sie ermittelt werde. Die Entscheidung, drei Kandidat_innen auszuschließen, die sich für einen Sitz im Parlament beworben hatten, hob das Verfassungsgericht später auf.

Rechtswidrige Tötungen

Das gesamte Jahr über gab es außergerichtliche Hinrichtungen und andere rechtswidrige Tötungen. Nach Kämpfen zwischen einer unbekannten bewaffneten Gruppe sowie der Polizei und der Armee in der Provinz Bujumbura Rural im Februar 2020 kursierten in den sozialen Medien Foto- und Videoaufnahmen, die mindestens zwölf junge Männer zeigten, die gefangen genommen worden und gefesselt waren. Auf anderen Fotos waren die Leichen einiger von ihnen zu sehen. Die UNIIB analysierte die Beweise und kam zu dem Schluss, dass die Männer nach der Gefangennahme getötet wurden, und zwar unter der Verantwortung von Angehörigen der Polizei, des Militärs und Imbonerakure-Mitgliedern, die ebenfalls auf den Aufnahmen zu sehen waren.

Im Vorfeld der Wahlen töteten Imbonerakure-Mitglieder mehrere Oppositionsmitglieder. CNL- und CNDD-FDD-Mitglieder starben auch infolge gewaltsamer Auseinandersetzungen zwischen den beiden Parteien. Richard Havyarimana, der Mitglied des CNL war, wurde im Mai in der Provinz Mwaro verschleppt. Drei Tage später fand man seine Leiche. Zwei Imbonerakure-Mitglieder wurden seiner Ermordung für schuldig befunden. Dies war einer der seltenen Fälle, in denen derartige Verbrechen strafrechtlich verfolgt wurden. Die beiden Männer wurden im August 2020 zu 15 Jahren Gefängnis verurteilt und mussten der Familie des Ermordeten ein Schmerzensgeld von 10 Mio. Burundi-Franc (etwa 4.300 Euro) zahlen.

Geschlechtsspezifische Gewalt

Imbonerakure-Mitglieder und andere Akteure griffen zur Einschüchterung und Bestrafung von Personen, die sie als Oppositionelle ansahen, auf sexualisierte Gewalt zurück. Die UNIIB wies in ihrem Bericht über das Jahr 2020 auf mehrere Fälle hin, die belegten, dass der Geheimdienst (Service National de Renseignement – SNR) seit 2015 in seinem Gewahrsam sexualisierte Gewalt an Männern und Jungen wie auch an Frauen und Mädchen verübt hat. Angehörige des SNR folterten und misshandelten männliche Häftlinge gezielt im Genitalbereich und vergewaltigten sie. Sie zwangen sie außerdem zum Geschlechtsverkehr mit anderen männlichen und weiblichen Inhaftierten sowie dazu, sich nackt auszuziehen, und demütigten sie auf andere Weise. Frauen waren Vergewaltigungen und anderen Formen sexualisierter Gewalt ausgesetzt.

Recht auf Wahrheit, Gerechtigkeit und Wiedergutmachung

Die Kommission für Wahrheit und Versöhnung führte das ganze Jahr über viel beachtete Exhumierungen von Massengräbern durch, in denen Opfer von in der Vergangenheit begangenen Gräueltaten verscharrt worden waren. Der Schwerpunkt lag auf der Exhumierung von Gräbern, die in Zusammenhang mit den Massakern im Jahr 1972 standen, denen vor allen Hutu zum Opfer gefallen waren.

Einseitige Kommentare staatlicher Stellen wurden als Versuch wahrgenommen, ein bestimmtes Narrativ zu schaffen. Die Art, wie die Exhumierungen durchgeführt wurden, barg die Gefahr, dass wertvolles Beweismaterial verloren ging. Zudem war keine respektvolle Aufbewahrung der exhumierten menschlichen Überreste gewährleistet.

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