Amnesty Journal Vereinigte Staaten von Amerika 26. Mai 2023

Limonade heißt jetzt oonsaawiminaapowi

Die Zeichnung eines Glases Limonade mit einem Trinkhalm darin.

Limonade auf oonsaawimini – man nehme: Zitrone (wörtlich "gelbe Beere") und eine Endung, die "trinken" oder "Saft" bedeutet.

George Ironstrack ist Bürger der indigenen Gemeinschaft der Miami. An der Universität von Ohio engagiert er sich für deren Vernetzung und für die Weiterentwicklung der Sprache Myaamiaataweenki.

Von Tanja Dückers

Wie viele amerikanische Universitäten befindet sich die Miami University in Oxford, Ohio auf einem Terrain, von dem seine früheren Bewohner*innen gewaltsam vertrieben wurden. In den vergangenen Jahrzehnten hat sich in den USA in diesem Bereich etwas getan. Zumindest an einigen Bildungseinrichtungen bemüht man sich, die lokalen indigenen Gemeinschaften stärker in die universitäre Arbeit einzubeziehen und ihre Kultur und Sprache zu fördern.

Dieser Aufgabe hat sich George Ironstrack, Bürger der indigenen Gemeinschaft der Miami in Ohio, mit Leib und Seele verschrieben. Die Miami oder in ihrer Sprache Myaamiaki ("Volk, das fluss­abwärts lebt"), beherrschten ein Gebiet südlich des Lake Michigan, das sich zu Beginn des 17. Jahrhunderts über große Teile des heutigen Bundesstaats Indiana sowie über angrenzende Gebiete von Illinois und Ohio erstreckte. Die Myaamiaki sind nicht mit der historischen indigenen Gemeinschaft im südlichen Florida zu verwechseln, mit der sie weder ethnisch noch sprachlich verwandt waren.

Von "Redskins" zu "Redhawks"

Der schlanke, sportliche Vater von drei Schulkindern ist Vizedirektor und Pädagogischer Koordinator des Myaamia-Center an der Miami University. Dieses Zentrum, in einem schönen Backsteinbau untergebracht, gibt es erst seit rund 20 Jahren. Und erst gut 30 Jahre ist es her, dass sich der erste Student der Myaamiaki an der Uni einschrieb. George Ironstrack kennt die Miami University bestens, er hat hier seinen Master in "Origins and History of the United States" (Ursprünge und Geschichte der Vereinigten Staaten) gemacht. Er ist einer von acht Myaamiaki, die bisher an der 1809 gegründeten Universität einen Master gemacht haben. Und er hat erlebt, wie die Universität ihr Maskottchen von "Redskins" (Rothäute) zu "Redhawks" (Rote Falken) umtaufte.

Es sei ihm wichtig, sagt George Ironstrack, den jungen Myaamiaki den Zugang zu höheren Bildungseinrichtungen zu erleichtern. Immerhin, schon rund 90 von ihnen haben hier einen Bachelor abgelegt. Sie studieren unterschiedliche Fächer und würden auf dem Campus den insgesamt rund 28.000 Studierenden kaum begegnen, gäbe es nicht das Myaamia-Center, das neben Sprachunterricht gemeinsame Aktivitäten anbietet, aber ihre Präsenz auch für die übrigen Studierenden mit Veranstaltungen und Festen wie dem "Stomp Dance" oder dem "Story Telling" sichtbar und zugänglich macht. Das Geschichtenerzählen ist Teil des "Wintertreffens", bei dem die Gäste die Sprache Myaamiaataweenki hören können. Es werden verschiedene Geschichten von Myaamia-Vorfahren zum Besten gegeben, die aufgeschrieben und bewahrt wurden. Die vielen Studierenden, die aus unterschiedlichen Bundesstaaten an diese große Universität in Ohio kommen, sollten schon etwas über die Vorgeschichte der Region wissen, findet George Ironstrack und wirkt dabei voller Energie.

Zwangsumsiedlung Indigener nach Westen

Seit der Ankunft der ersten Europä­er*in­nen waren die indigenen Gemeinschaften an der Ostküste immer stärker nach Westen gedrängt worden. Spätestens ab den 1820er Jahren wollten die weißen Siedler*innen die dort lebenden Menschen ganz aus dem heutigen Ohio und Indiana verdrängen. Insbesondere das Land der Myaamiaki galt als fruchtbar und lag strategisch günstig am Wabash River, der natürlichen Verbindungsstraße ­zwischen dem Ohio River und den Großen Seen.

Der 1830 beschlossene "Indian ­Removal Act" sah die Zwangsumsiedlung Indigener aus dem Osten in Gebiete westlich des Mississippi vor. Die Myaamiaki weigerten sich, der Anordnung Folge zu leisten. Sie wollten kein Geld, sondern ihr Land behalten. 1846 wurden sie schließlich aus dem Wabash River Valley vertrieben. Seitdem muss­ten die Myaamiaki im weniger fruchtbaren und ihnen unvertrauten Kansas und, nach einer weiteren Zwangsumsiedlung, in Oklahoma leben.

Im Jahr 2021 organisierte George Ironstrack gemeinsam mit Kolleg*innen vom Myaamia-Center die Gedenkveranstaltung zum 175. Jahrestag der Zwangsumsiedlung. "Die Umsiedlung von 1846 dauerte fast einen Monat, aber ihre Auswirkungen sind für alle Myaamiaki bis heute spürbar, egal wo wir leben", meint er. Doch geht es ihm und seinen Kolleg*innen nicht nur um die Vergangenheit.

George Ironstrack wirkt lässig und lebenszugewandt, ist privat und beruflich ständig von Kindern und Jugendlichen umgeben. Er betont, dass die Myaamiaki heute auf dem Campus sehr präsent seien. "Wir sind nicht nur Opfer, und wir sind kein Kapitel der Vergangenheit", wird er nicht müde zu erzählen. Deshalb investiert er viel in die Zukunft der kleinen Gemeinschaft: Dazu gehört der tägliche rege Austausch über Online-Netzwerke in der Community. Denn die geografische Distanz zwischen den verschiedenen Bundesstaaten, in denen die Myaamiaki nun leben, ist groß. Im Chat geht es um tradierte Methoden der Ahornsirupgewinnung, um Möbelpolituren aus Tierfett, aber auch um neue wissenschaftliche Erkenntnisse darüber, was zum Niedergang der befreundeten Hope­well geführt hat: "War ein Komet verantwortlich?" Ohne Klatsch und Tratsch geht es natürlich auch nicht: "War Aquenackwe vielleicht Little Turtle’s Vater?", wird da schon mal gefragt.

Hin und wieder taucht in einem Moment ein neues Wort auf, das sich für alle sofort richtig anfühlt.

George
Ironstrack
Bürger der indigenen Gemeinschaft der Miami

Aber vor allem hat Ironstrack, ein passionierter Frühaufsteher, dem Müdigkeit fremd zu sein scheint, seine berufliche Erfüllung im Unterrichten, der Weitergabe von Wissen gefunden. Es erfüllt ihn mit Stolz, wenn Studierende locker ihren amerikanischen Alltag in Myaamiaataweenki besprechen können. Gerade deshalb sind ihm linguistische Erneuerungen wichtig. Die tradierte indigene Sprache soll mit der Zeit gehen und auch für die Jüngeren ein geeignetes Kommuni­kationsmittel sein. Einmal erlebte ­George Ironstrack folgende Szene: Bei einer Feier bildete sich eine lange Schlange vor dem Essen. Eine Gruppe von Myaamia-Studierenden diskutierte die Auswahl an Speisen, von denen sie viele in Myaamiaataweenki bezeichnen konnten. Ein Student deutete auf die Limonade bei den Getränken und fragte: "taaniši iilweenki Lemonade?" (wie sagt man zu Limonade?). Und schon begann die Gruppe, sich Gedanken zu machen.

"Um ein neues Wort in Myaamiaataweenki zu kreieren, muss man manchmal tagelang oder sogar wochenlang in den Archiven recherchieren und unsere Verwandten in anderen Stämmen befragen, wie sie etwas benennen. Aber hin und wieder taucht in einem Moment ein neues Wort auf, das sich für alle sofort richtig anfühlt", sagt George Ironstrack und ergänzt "und das auch unser Linguistikteam für gut befindet". Bei der Limonade sah das so aus: Die Jugendlichen begannen mit den Elementen der Sprache zu spielen, die sie kannten. Sie kamen auf oonsaawimini für Zitrone (wörtlich "gelbe Beere") und fügten eine Endung hinzu, die "trinken" oder "Saft" bedeutet, um das Wort "Limonade" zu bilden. Das neue Wort "oonsaawiminaapowi" wurde von den Älteren anerkannt.

Klein wie die Community ist, kann man sich innerhalb weniger Wochen gütlich auf neue Sprachregelungen einigen. Laut dem letzten US-Zensus aus dem Jahr 2000 lebten in Ohio und in Kansas je rund 550 Myaamiaki, in Oklahoma rund 600. Die Gesamtzahl der Myaamiaki in den Vereinigten Staaten belief sich auf 3.811 Personen. Immerhin, meint George Ironstrack: Wer heute an der Miami University einen Abschluss ablegt, "graduiert mit einem tieferen Verständnis darüber, was es bedeutet, sagen zu können 'niila myaamia', 'I am a Miami'".

Tanja Dückers ist Autorin und Journalistin. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung von Amnesty International wieder.

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