Amnesty Journal Uruguay 31. Januar 2024

Elke und Augusto

Ein Mann mittleren Alters trägt Hemd mit Kragen, darüber Pullover und Jacket, er steht draußen, hinter ihm sind Bäume.

Augusto Kennedy nach seiner Freilassung 1985 in Uruguay

Der Einsatz für Amnesty International verbindet Menschen in aller Welt, manchmal sogar über den Tod hinaus – wie im Fall von Elke Kragh aus Lübeck und der Familie von Augusto Kennedy in Uruguay.

Von Harriet Wolff

"Es tut mir sehr leid, dass ihr Bruder bereits seit elf Jahren inhaftiert ist, und ich würde ihm gerne helfen …", schreibt Elke Kragh, Grundschullehrerin in München und Mitglied einer Amnesty-Kogruppe, Anfang des Jahres 1983 in ihrem mit Schreibmaschine getippten Brief an einen gewissen Paul Kennedy. Paul ist der Bruder des inhaftierten Augusto, beide stammen aus der Kleinstadt Fray Bentos in Uruguay, nahe der Grenze zu Argentinien. Rund 17 Jahre später wird Paul beschließen, seine jüngste Tocher "Sara Elke" zu nennen – "Elke aus Deutschland hat uns so sehr unterstützt, so viel Kraft gegeben in unserer Sorge um Augusto und bei unserer Suche in uruguayischen Gefängnissen während der finalen Jahre der Militärdiktatur, das wollte ich damit ehren", berichtet er am Telefon.

"Ein Feinsinniger, ein Sensibler, stets auf Verständigung aus"

Seit Juni 1973 regierte in Uruguay das Militär nach einem Putsch. Tausende gerieten unter schikanösen, unmenschlichen Bedingungen in Haft, viele wurden gefoltert, ermordet oder kamen in lange Isolationshaft. Der Philosophielehrer Augusto wurde bereits im Juni 1972 inhaftiert – auch vor dem Putsch gab es in Uruguay Militärtribunale und Geständnisse, die unter Folter erzwungen wurden. Er galt der alten wie der neuen Regierung als Mitglied der Tupamaros, einer militanten, kommunistisch geprägten Widerstandsbewegung, die auch Terroranschläge verübte. "Augusto war ein stark politisch denkender Mensch, aber grundsätzlich gegen Gewalt. Er war ein Feinsinniger, ein Sensibler, stets auf Verständigung aus", erzählt sein Bruder Paul. Der heute 69-Jährige lebt nach langen Jahren in Argentinien nun wieder in seiner Heimat Fray Bentos. "Augusto saß als Unschuldiger bis zum Ende der Militärdiktatur 1985 ein, dann endlich kam er frei."

Eine Frau und ein Mann mittleren Alters sitzen auf einer Bank draußen. Sie sitzt links neben ihm, trägt ein leichtes Sommerkleid und einen leichten Schal, lächelt. Er trägt T-Shirt, Jeans und Brille.

Für Augusto und die Menschenrechte: Unterstützerin Elke Kragh und Amnesty-Mitarbeiter Renzo Pomi.

Plötzlich kommt diese Geschichte wieder, die ist wirklich in meinem Herzen drin, Augustos Schicksal berührt mich noch heute.

Elke
Kragh
Amnesty-Mitglied

Ende der 1970er Jahre hatte Augustos Unterstützerin Elke die vierteilige US-Serie "Holocaust" im deutschen Fernsehen gesehen und sich erschüttert gefragt: "Wie kann ich mich dafür einsetzen, dass Menschen nicht weiter unterdrückt werden?" Bei Amnesty fand Elke schließlich eine Herausforderung, die sie erfüllte.

Heute sitzt die 80-Jährige in ihrem Haus mit Garten, das zu einem Wohnprojekt in Lübeck-Schlutup gehört, vor Erinnerungsfotos, die ihr damals die Familie von Augusto auf teils wochenlangem Postweg hat zukommen lassen. Da ist Augusto zu sehen, blass und ernst kurz nach seiner Freilassung. Ein Schwarzweißfoto zeigt ihn als Kleinkind mit seiner Mutter Francisca, genannt "Kika". Elke ist sichtlich angefasst: "Plötzlich kommt diese Geschichte wieder, die ist wirklich in meinem Herzen drin, Augustos Schicksal berührt mich noch heute." 

Inspiriert zum Studium der Menschenrechte

Zu Gast bei ihr ist an diesem Tag ­Renzo Pomi, ein guter Bekannter der Familie Kennedy. Mit Tränen in den Augen betrachten sie die alten Fotos. Pomi stammt ebenfalls aus Fray Bentos und ­koordiniert derzeit die Lobbyarbeit von Amnesty International bei der UNO in New York. Er hatte, angeregt durch Augustos Familie, Verbindung zu Amnesty Deutschland aufgenommen – und dort konnten Mitarbeiter*innen Elke Kragh nach all den Jahren ausfindig machen.

Eine junge Frau vor ein paar Wohnhochhäusern, sie trägt das Haar schulterlang, große Ohrringe.

Studium der Menschenrechte: Sara Elke Kennedy (23) in Montevideo

Ich hoffe, dass wir uns bald in echt treffen können, damit ich ihr persönlich danken kann. Nach ihr benannt zu sein, macht mich stolz.

Sara Elke
Kennedy
Nichte von Augusto

Augusto, der mit nur 64 Jahren im Juli 2007 in Fray Bentos starb, hat seine engagierte Unterstützerin leider nie persönlich kennengelernt. Aber die ­beiden standen in engem Briefkontakt. "Eine Zeitlang habe ich Augusto alle 14 Tage geschrieben, ich wollte nicht, dass er das Gefühl hat, er wird vergessen."

11.756 Kilometer entfernt und einige Tage nach unserem Besuch in Lübeck sitzt die nach Elke benannte Sara Elke vor einem Computer in Montevideo. Sie winkt mit leuchtenden Augen in die Kamera. "Elke hat damals unermüdlich dazu beigetragen, Augusto zu finden, das rechne ich ihr hoch an", sagt die 23-jährige Studentin. "Ich hoffe, dass wir uns bald in echt treffen können, damit ich ihr persönlich danken kann. Nach ihr benannt zu sein, macht mich stolz."

Das Schicksal ihres Onkels hat Sara Elke veranlasst, sich an der Universität für "derechos humanos" einzuschreiben, für Menschenrechte. Zurzeit arbeitet sie an einem Referat über internationale Aspekte von politischen Rechten. "Letztens bin ich bei einer meiner Recherchen zur Militärdiktatur in Uruguay online auf seinen Namen gestoßen. Die Geschichte hört nicht auf."

Dieses Jahr wäre Augusto Kennedy 80 Jahre alt geworden. "Ich vergesse ihn nie", sagen sowohl Elke in Lübeck als auch Sara Elke in Montevideo.

Harriet Wolff ist Journalistin und Fotografin. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung von Amnesty International wieder.

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