Amnesty Journal Italien Sri Lanka 16. Februar 2023

“In meiner Heimat bin ich eine Reggae-Ikone”

Ein schwarzer Mann mit Dreadlocks wirft seinen Kopf zurück, sodass seine Haare nach oben fliegen; im Hintergrund am Horizont Berge.

Der Musiker Prageeth Perera floh 1992 aus Sri Lanka nach Italien. In Neapel erfand er sich als "Ceylon Rasta" neu – ein Gespräch über Bürgerkireg und Flucht, Integration und Rassismus.

Interview: Mauro D’Arco. Übersetzung aus dem Italienischen: Nina Apin

Erinnern Sie sich noch an die Ankunft in Neapel?

Ja, 1992 war das. In Sri Lanka herrschte Bürgerkrieg, und meine Familie riet mir zur Flucht, um nicht zur Armee eingezogen zu werden, wie viele, die noch nicht einmal wussten, wie man eine Waffe bedient. Ich flog nach Rom und reiste von da weiter ins neapolitanische Viertel Sanità, wo meine Cousine wohnte. Für mich, der ich an Landleben gewöhnt war, war Neapel ein Kulturschock! Damals gab es nur eine kleine srilankische Community, vielleicht 50 Leute – heute sind wir 50.000.

Neapel wird gern als gastfreundliche Stadt beschrieben: Haben Sie das auch so erlebt?

Ich lebe jetzt seit 31 Jahren hier – und will auch bleiben, soviel zur Gastfreundschaft. Aber es hat sich auch etwas verändert: Wenn ich in den 1990er Jahren nach 22 Uhr auf die Straße ging, gab es immer irgendeinen Idioten, der mir blöd kam. Es war nicht direkt Rassismus, eher eine übertriebene Art, sich über jemanden lustig zu machen, der heraussticht. Jetzt, da wir Sri Lanker so viele geworden sind, ist das anders. Die junge Generation respektiert Fremde, es gibt auch Nähe. Ich habe Neapel ein Stück gewidmet: "Napoletana Machan". Machan heißt: "mehr als ein Bruder".

Wie haben Sie den Reggae entdeckt?

1992 hing ich herum und wusste nicht so recht, wohin mit mir. Eines Tages hörte ich aus einem Kellerlokal Musik: Es war die afrikanische Band "Tropical Forest", die Songs von Bob Marley spielte. Zum ersten Mal hörte ich "No Woman, No Cry" und dachte: "Wow, wie schön!" Von da an kam ich jeden Nachmittag, um ihnen zuzuhören. Schon in Sri Lanka hatte ich in einer Band gespielt, aber Reggae war für mich etwas ganz Neues, ich mochte diesen Stil und fing an, so zu spielen. 1996 schrieb ich "Denima", ein politisches Stück, in dem ich sage, dass die Jeans keine Herkunft kennt – du kannst sie überall tragen. Der Song schlug in Sri Lanka ein wie eine Bombe: Er war im Radio zu hören, im Fernsehen, die Menschen fingen an, über mich zu sprechen. Sie fragten sich, was ist das für eine Musik, und was ist das für ein Sri Lanker, mit Dreadlocks! Aber "Denima" und meine srilankische Version von Bob Marleys "Soul Rebels" machten mich schlagartig bekannt. Es hört sich vielleicht komisch an, aber inzwischen bin ich in Sri Lanka als Reggae-Ikone anerkannt!

Ein schwarzer Mann mit Dreadlocks sitzt mit einer Gitarre vor einem Haus und musiziert, am Horizont die Berge.

Ihr  Markenzeichen sind Klassiker im Reggaestil und in verschiedenen Sprachen. Wie sind die Reaktionen darauf?

Wenn ich Musik für die Heimat mache, singe ich in meiner Sprache, sehr beliebt ist etwa meine Bearbeitung von Adriano Celentanos "Susanna". Oft singe ich auf Englisch, und wenn ich Songs für Neapel schreibe, singe ich im neapolitanischen Dialekt. In verschiedenen Sprachen singen zu können, ist eine schöne Möglichkeit für mich! In Sri Lanka bin ich bekannt als der, der den Reggae ins Land gebracht hat. Und in Neapel bin ich stolz darauf, Teil des OMM zu sein, des Orchestra Multietnica Mediterranea mit Musikerinnen aus 21 Ländern und verschiedenen Kontinenten.

Sie haben auch eine Art TV-Kanal für Ihre Community gegründet…

Als die srilankische Bevölkerung in Neapel wuchs, wollte ich etwas für sie machen und gründete vor 16 Jahren Gee TV, den ersten srilankischen Kanal in Europa: "Gee" heißt so viel wie Lieder, und drei Buchstaben davon sind auch in meinem Namen zu finden. Noch bevor es YouTube gab, streamte ich live, mein Kanal hat viel dazu beigetragen, die Sri Lanker*innen in Kampanien zu vernetzen. Ich versorge die Leute mit nützlichen Nachrichten: wer geboren wurde, wer Geburtstag hat. Wenn jemand stirbt, übertrage ich die Beerdigung, damit die weit entfernten Verwandten teilnehmen können. Ich habe bereits Hunderte von Videos gedreht.

Wenn ich Liebeslieder schreibe, laufen sie im Radio, aber meine politischen Stücke laufen dort nie. Wegen Texten gegen Korruption und für Frieden und Freiheit habe ich sogar Drohungen erhalten.

Prageeth
Perera
Musiker

Wie ist die aktuelle Situation in Sri Lanka?

Mein Land wurde von Korruption, verschiedenen Diktatoren und Machtspielen aufgerieben. Die Bevölkerung hängt einer alten Mentalität an, und die Politiker*innen verstecken Tatsachen, damit die Leute immer dieselben Politiker*innen wählen, deren Familien sich die Taschen füllen. Wenn es je Hoffnung gegeben hätte, wäre ich wieder zurück gezogen – aber es ist leider eher so, dass immer mehr Menschen versuchen, das Land zu verlassen. In meinen Liedern mache ich klar, was meiner Ansicht nach geschehen müsste, um die Situation zu verbessern. Religion ist in Sri Lanka für viele Menschen enorm wichtig; doch die Religion und die Sprachenvielfalt haben uns den Bürgerkrieg gebracht, in dem so viele Menschen gestorben sind. Wir haben zwei Bevölkerungsgruppen: Die Tamil*innen und die Singhales*innen. Von mir als Singhalesen erwartet man geradezu, dass ich den Tamil*innen gegenüber feindlich eingestellt bin – aber ich sehe nur eine Politik des Hasses, die nach 74 Jahren endlich aufhören muss. Vielleicht braucht das Land einen jungen Regierungschef, der gereist ist und gesehen hat, wie man anderswo auf der Welt lebt: nämlich in Frieden.

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Was halten Sie von der Resolution des UN-Menschenrechtsrats, die eine Aufarbeitung der im Bürgerkrieg verübten Verbrechen verlangt?

Ich finde diesen Vorstoß wichtig. Für mich gibt es keine Unterschiede, für mich zählt die Menschlichkeit. Es sind die Politiker*innen, die spalten – und immer, wenn Wahlen anstehen, die ethnischen Spannungen schüren, um davon zu profitieren. So lange es diese Mentalität gibt, wird es keine Entwicklung geben.

Welche Rolle können Kunst und Musik spielen, um Veränderungen zu erreichen?

Ich glaube, dass Musik und Kunst Gesellschaften verändern können. Die Menschen haben die Nase voll, sie glauben den Politiker*innen nicht mehr. Mittels der Kunst kann man die Gehirne dieser Menschen noch erreichen und verändern. Doch gibt es da ein Problem: Wenn ich Liebeslieder schreibe, laufen sie im Radio, aber meine politischen Stücke laufen dort nie. Wegen Texten gegen Korruption und für Frieden und Freiheit habe ich sogar Drohungen erhalten. In Sri Lanka ist das Fernsehen das einzige Massenmedium – und das ist unter politischer Kontrolle. Es berichtet im Sinne der herrschenden Politiker*innen. Zum Glück verbreiten sich in jüngster Zeit über die Online-Netzwerke auch abweichende Botschaften.

Kurugamage Prageeth Perera wurde 1966 in Sri Lanka geboren. Er kam 1992 nach Italien und lebt in Neapel. Als Reggaemusiker ist er unter dem Namen "Ceylon Rasta" bekannt.

Mauro D’Arco ist Soziologe an der Universität von Neapel und freier Autor. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung von Amnesty International wieder.

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