Amnesty Journal 17. März 2022

Hauptsache gut vernetzt

Eine Gruppe schwarzer Frauen steht nebeneinander und psoiert für das Foto, viele von ihnen lächeln oder lachen.

Digitales Empowerment: Frauen bei Workshops von She Code Africa. Lagos, Nigeria, 2019

Die Organisation She Code Africa bietet in Nigeria kostenlose Programmierkurse an. Damit bringt sie Frauen in die IT-Branche und stärkt ihr Selbstbewusstsein.

Von Frank Odenthal

Ich bin auf dem Land aufgewachsen", sagt Ruth Ikegah. "Meine Familie hatte keinen Computer." Erst in der High School in der nigerianischen Stadt Lagos habe sie einen Laptop bekommen. Den musste sie sich mit einigen Mitschülern teilen. Ihre Mitschülerinnen hatten andere Interessen. "Es waren nur wenige Mädchen in meiner Klasse, die sich für Computer und Informationstechnologie interessierten."

Doch bei Ruth Ikegah weckte der Laptop Begeisterung. Schnell wollte sie tiefer einsteigen: die Programme darauf nicht nur nutzen, sondern am liebsten selbst programmieren. Ikegah erzählt, dass sie versucht habe, sich die Programmiersprache Python in Eigenregie beizubringen. Das habe aber nicht sonderlich gut geklappt. Eine Freundin machte sie dann auf das Mentor_innenprogramm von She Code Africa aufmerksam. Dort erlebte sie zum ersten Mal, dass sie nicht allein war, sondern dass es viele andere Frauen gab, die ihr Interesse an Informationstechnologie teilten.

Selbstbestimmt durch IT-Skills

"Sich mit anderen Frauen austauschen zu können, über Probleme sprechen zu können, die besonders Frauen ­betreffen, fand ich ungemein hilfreich", sagt Ikegah. "Es stärkt das Selbstbewusstsein, wenn man erkennt, dass man mit seinen Schwierigkeiten nicht allein ist und es anderen Frauen ähnlich geht." Vor allem bestätigte sich, was sie schon immer vermutet hatte: dass Frauen genauso gut programmieren können wie Männer.

Einem Computercode sieht man nicht an, ob er von einer Frau oder einem Mann programmiert wurde.

Ruth
Ikegah
Programmiererin und Mentorin

Frauen sind im IT-Bereich bis heute unterrepräsentiert – nicht nur in Nigeria. Die digitale Welt kann für viele Frauen ­jedoch befreiend wirken und sie stärken. Schließlich bietet sie unzählige Möglichkeiten der Vernetzung. Außerdem ist es für Frauen und Mädchen leichter, ein selbstbestimmtes Leben zu führen, wenn sie einen anspruchsvollen Beruf ausüben und damit ihr eigenes Geld verdienen. Hier setzt das Programm She Code Africa an: Es ermutigt junge Frauen, sich mit Informationstechnologien zu beschäftigen und im IT-Bereich Fuß zu fassen.

"Es ging uns darum, jungen Frauen eine Plattform zu bieten", sagt Ada Nduka Oyom, die die Initiative 2016 in Lagos gründete. Ihr Engagement für She Code Africa ist ehrenamtlich. Das gilt auch für ihre inzwischen 26 Kolleg_innen. Ada Nduka Oyom verdient ihr Geld als Managerin bei Google und ist dort für das subsaharische Afrika zuständig. Ihre Initiative ist mittlerweile an 30 Orten aktiv – nicht nur in Nigeria, sondern auch in Ghana, Kenia, Ruanda und Kamerun. Es ist ein Netz aus Freiwilligen, das jungen Frauen, die sich für IT-Berufe interessieren, in den Städten, aber auch im ländlichen Raum eine Anlaufstelle bietet. "Viele junge Frauen wollten sich nicht nur vernetzen, sondern fragten konkrete Weiterbildungen im IT-Bereich nach", sagt sie. "Also haben wir neben Work­shops vor Ort auch Onlinekurse angeboten." Besitzen die Frauen keinen eigenen Computer, versucht She Code Africa ihnen einen zur Verfügung zu stellen.

An 30 Orten aktiv

Gerade auf dem Land ist der Zugang zu Informationstechnologie in Nigeria oftmals schwierig. Zwar sind Mobiltelefone weit verbreitet, aber anspruchsvollere Geräte, wie Laptops oder Smartphones, mit denen man das Internet nutzen und sich mit der digitalen Welt vernetzen kann, stehen nicht allen Menschen zur Verfügung. Und dennoch finden einige junge Frauen ihren Weg, um erste Programmierversuche zu starten. "Manche Mädchen berichten, sie würden mühsam versuchen, mit ihren Handys zu programmieren", sagt Ada Nduka Oyom. Die 26-Jährige kennt das Gefühl, keinen Zugang zur nötigen Hardware zu haben. Sie ist mit drei Geschwistern aufgewachsen. Erst gegen Ende ihrer Schulzeit stand ihr ein Laptop zur Verfügung, den sie sich aber mit ihren Geschwistern teilen musste.

Die Kurse von She Code Africa sind für die Teilnehmerinnen kostenlos. Entsprechend groß ist die Nachfrage. "Wir haben im Schnitt rund 500 Bewerberinnen für unsere Programme", sagt Ada Nduka Oyom. "Bei den beliebtesten Angeboten sind es deutlich mehr." Deshalb gebe es eine Obergrenze, die je nach Kurs bei 200 oder auch nur bei 30 Frauen liegt. Am populärsten ist das Mentor_innenprogramm. Frauen und Männer, die den Sprung in die IT-Branche geschafft haben, stehen den Teilnehmerinnen Rede und Antwort und geben hilfreiche Tipps, wie eine Karriere in diesem Bereich gelingen kann.

Gerätemangel als Hürde

Neben Online-Schulungen führt die Initiative auch regelmäßig Veranstaltungen vor Ort durch, zuletzt einen "Hackathon", bei dem sich Frauen gemeinsam Wissen rund um das Programmieren von Onlineshops und das Geldverdienen im Netz erarbeitet haben. Auch Wochenend-Crashkurse erfreuen sich großer Beliebtheit, sagt Ada Nduka Oyom. "Und ab dem nächsten Jahr wollen wir hybride Kurse anbieten, die teils online und teils in Präsenzschulungen stattfinden sollen."

Der fehlende Zugang zu geeigneten Geräten ist nicht die einzige Hürde für Frauen in der IT-Branche. "Es gibt noch zu viele Zugangsschranken", sagt Ada Nduka Oyom, zum Beispiel die, immer wieder auf das Geschlecht angesprochen zu werden. "Damit suggeriert man den Frauen, sie werden gefördert, weil sie Frauen sind, nicht weil sie qualifiziert sind. Man gibt ihnen zu verstehen, eigentlich verdienen sie keinen Job in der IT-Branche." Hinzu komme, dass oftmals weibliche Vorbilder fehlten.

Eine weitere, nicht zu unterschätzende Hürde für junge Frauen auf Jobsuche sind sexuelle Belästigungen. "Jede fünfte Frau, die sich bei uns für eine Schulung bewirbt, berichtet, sie habe bei der Suche nach einem Arbeits- oder Ausbildungsplatz Erfahrungen mit sexuellen Übergriffen gemacht", sagt Ada Nduka Oyom. Umso wichtiger ist es, dass Mädchen und junge Frauen die Möglichkeit haben, sich zu vernetzen und gegenseitig zu stärken.

Ruth Ikegah hat ihre Ausbildung bei She Code Africa genutzt, um in der IT-Branche Fuß zu fassen. Sie arbeitet inzwischen als Python-Programmiererin und technische Redakteurin für ein US-Softwareunternehmen. Und für She Code Africa steht sie als Mentorin zur Verfügung und unterrichtet Open-Source-­Programmierung.

Weitere Infos: www.shecodeafrica.org

Frank Odenthal ist freier Journalist. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung von Amnesty International oder der Redaktion wieder.

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