Amnesty Journal Deutschland 08. November 2023

Die üblichen Verdächtigen

Polizeibeamte stehen auf der Straße vor einem sitzenden Kind.

Antiziganistische Diskriminierung findet in Deutschland vor allem in Behörden statt. Auch der Umgang der Polizei mit Sinti*zze und Rom*nja ist von einer jahrhundertelangen rassistischen Geschichte belastet.

Von Hannah El-Hitami

Es sind Formulierungen wie diese, die Valerie Laukat Sorgen machen: "Trickdiebstahl in Wohnung: Bei den hierzu ermittelten Tatverdächtigen handelt es sich überwiegend um Angehörige der Volksgruppe der Sinti und Roma. Diese Familienclans leben mittlerweile seit Jahren in Deutschland und besitzen überwiegend die deutsche Staatsangehörigkeit."

Laukat arbeitet für AmaroForo, einen transkulturellen Verein von Rom*nja und Nicht-Rom*nja. Die Meldung aus der polizeilichen Kriminalstatistik 2017 zeigt aus ihrer Sicht gut, was im Umgang der deutschen Polizei mit Sinti*zze und Rom*nja falsch läuft. Inzwischen wurde diese Art der Kategorisierung von der Berliner Datenschutzbeauftragen zwar als rechtswidrig bezeichnet. Doch der Vorfall zeigt, dass die Erfassung von Sinti*zze und Rom*nja als ethnische Gruppe in Deutschland nicht mit dem Nationalsozialismus endete. Kontinuitäten lassen sich bis heute in der polizeilichen Praxis erkennen. "Es stellt sich die Frage, wie die Polizei Täte­r*innen ihre ethnische Zugehörigkeit zuschreiben kann", sagt Laukat. "Dass die Polizei angebliches Expertenwissen kommuniziert, das klar auf antiziganistischen Stereotypen beruht, ist brandgefährlich." Zudem sei die Erwähnung einer ethnischen Zugehörigkeit in den meisten Kontexten rechtswidrig – "und aufgrund der deutschen Historie auch ethisch nicht vertretbar".

Tägliche Herausforderung

Der Kampf gegen Antiziganismus ist für AmaroForo und andere Sinti*zze- und Rom*nja-Selbstorganisationen eine tägliche Herausforderung. Denn Mitglieder der Minderheit werden in Deutschland nach wie vor massiv diskriminiert: Sie werden pauschal mit Kriminalität assoziiert, mit dem rassistischen Z-Wort beleidigt, unrechtmäßig abgeschoben. Der Unabhängigen Kommission Antiziganismus zufolge machen Sinti*zze und Rom*nja zwei Drittel ihrer Diskriminierungserfahrungen im Kontakt mit staatlichen Behörden und öffentlichen Institutionen, dabei spielt die Polizei eine zentrale Rolle. Ihr Umgang mit Sinti*zze und Rom*nja ist seit Jahrhunderten von antiziganistischen Vorurteilen geprägt. Die Folgen ­dieser unvollständig aufgearbeiteten ­Geschichte zeigen sich bis heute.

"Diesem Apparat ging es immer darum, vermeintlich abweichendes Verhalten zu polizieren", sagte Markus End, ­Vorsitzender der Gesellschaft für Antiziganismusforschung, in einem Interview. Menschen, die als umherziehend wahr­genommen wurden, zu bestrafen, einzusperren oder zu vertreiben, sei für die ­Etablierung der deutschen Polizei ein zentrales Moment gewesen. End hat dokumentiert, dass die Polizei schon im ­frühen 18. Jahrhundert das rassistische Z-Wort nutzte. Seiner Ansicht nach liegt sogar nahe, dass der Begriff überhaupt erst durch die polizeiliche Erfassung dieser Bevölkerungsgruppen erfunden wurde – als ­Etikett für bestimmte Formen "unerwünschten Verhaltens", wie End feststellt.

Insbesondere während des Nationalsozialismus versuchten die deutschen Behörden, jedes (vermeintliche) Mitglied der Minderheit zu erfassen. Sie untersuchten Haarfarben, nahmen Blutproben und erstellten umfangreiche Stammbäume. Der Rassentheoretiker Robert Ritter verkündete, dass er sogar Sinti*zze und Rom*nja identifizieren könne, die selbst gar nichts mehr von ihrer ethnischen Zugehörigkeit wüssten. Ihren Höhepunkt fand die rassistische Verfolgung ab 1942 im Porajmos, dem Völkermord an den Sinti*zze und Rom*nja in Deutschland und Europa. Es wird geschätzt, dass bis zu einer halben Million Menschen im Nationalsozialismus ermordet wurden. Viele weitere ­wurden zwangssterilisiert.

Sobald die Polizei auf Sinti oder Roma trifft, scheinen gültige Gesetze und bewährte Regularien außer Kraft gesetzt zu sein.

Mehmet
Daimagüler
Antiziganismusbeauftragte der Bundesregierung

Doch im Gegensatz zur Massenvernichtung von Jüdinnen und Juden ist der Völkermord an den Sinti*zze und Rom*nja in der deutschen Geschichte bis heute kaum bekannt. Erst 37 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs erkannte die Bundesrepublik den Genozid an. Weitere 30 Jahre dauerte es, bis ein Denkmal daran erinnerte. Die deutsche Polizei setzte indes die Erfassung und Beobachtung von Sinti*zze und Rom*nja nach 1945 fort. Zwar hieß die zuständige Dienststelle ab 1946 Landfahrerzentrale statt Reichszentrale zur Bekämpfung des Z-Wesens, doch die Mitarbeiter*innen blieben dieselben und griffen auf die gleichen ras­sistischen Akten zurück. Im Bundes­kriminalamt (BKA) gab es bis 2001 eine Sachbearbeitungsstelle zum sogenannten Tatkomplex "Reisende Täter". Die Begrifflichkeiten änderten sich zwar, doch blieben Sin­ti*zze und Rom*nja für die Polizei eine verdächtige Bevölkerungsgruppe. Bis heute berichten Angehörige der Minderheit von anlasslosen Kontrollen und übermäßigem Einsatz von Gewalt bei ­Polizeieinsätzen.

Medien übernehmen Stereotype

"Sobald die Polizei auf Sinti oder Roma trifft, scheinen gültige Gesetze und bewährte Regularien außer Kraft gesetzt zu sein", sagte der Antiziganismusbeauftragte der Bundesregierung Mehmet Daimagüler im Frühjahr in einem Interview. Stattdessen werde auf ­Eskalation gesetzt.

Wissenschaftler*innen und Aktivis­t*innen befürchten, dass Teile der Landfahrerkarteien in neuere Datenbanken mit Titeln wie "Tageswohnungseinbruch" oder "häufig wechselnder Aufenthaltsort" übergegangen seien. Denn in Polizeiberichten finden sich nach wie vor Hinweise auf die ethnische Zugehörigkeit, auch wenn dafür abenteuerliche Umschreibungen erfunden würden – zum Beispiel "mobile ethnische Minderheiten", "reisende Personen" oder "Minderheit aus dem ehemaligen Jugoslawien". Diese Art der Kommunikation bestätige bestehende antiziganistische Ressentiments in der Gesellschaft, fürchtet Laukat.

Medien würden die Pressemitteilungen der Polizei teils unkritisch übernehmen, beobachtet die Aktivistin. Oft werde überhaupt nur dann über Sinti*zze und Rom*nja berichtet, wenn die Polizei Meldungen herausgibt – und somit auch nur im Kontext von Kriminalität. Dadurch werde nicht nur das Vorurteil aufrechterhalten, dass Sinti*zze und Rom*nja kriminell seien, sondern auch die weitverbreitete Vorstellung, Sinti*zze und Rom*nja hätten einheitliche Merkmale und seien als solche erkennbar. Damit wird die Vielfalt von Lebensweisen, Aussehen, Herkunftsländern, Sprachen und Berufen ­innerhalb der Minderheit verschleiert. "Das stellt eine reale Gefahr für Menschen dar, die als Sinti*zze und Rom*nja gelesen werden." Laukat fordert, dass sich alle angehenden Polizist*innen zu Beginn ihrer Ausbildung kritisch mit der Geschichte der Behörde auseinandersetzen.

Spätes Bemühen

Im September veröffentlichte das Melde- und Informationszentrum Antiziganismus (MIA) seinen ersten Jahresbericht. Demnach wurden Angehörige der Minderheit im vergangenen Jahr mehr als 600 Mal rassistisch angegangen. Es handelte sich ­dabei meist um Beleidigungen. Doch das Meldezentrum dokumentierte auch 17 Angriffe, elf Bedrohungen und ­einen Fall von extremer Gewalt. Die Expert*innen gehen von deutlich mehr Übergriffen aus – zum einen, weil die ­Polizei Straftaten nicht aufnehme, zum anderen weil Betroffene sie nicht melden: "Es besteht ein generelles Misstrauen gegenüber staatlicher Gewalt und der Polizei", sagt Laukat. Hinzu komme die Erfahrung, dass antiziganistische Straftaten nicht ernstgenommen würden und selten zur Anzeige kämen. "Uns werden oft Fälle gemeldet, in denen sich Menschen wegen rassistischer Beleidigung an die Polizei gewandt haben und abgewiesen wurden."

Im Januar 2023 hat das BKA Antiziganismus in den Themenfeldkatalog des Kriminalpolizeilichen Meldedienstes für politisch motivierte Kriminalität aufgenommen. In einer Vereinbarung mit dem Zentralrat der Sinti*zze und Rom*nja verpflichtete sich das BKA außerdem, "jeglicher Diskriminierung und Ausgrenzung von Sinti*zze und Rom*nja entgegenzuwirken und für den gesellschaftlichen Antiziganismus zu sensibilisieren und diesen zu ächten" – ein historischer Moment, mehr als 80 Jahre nach Beginn des Porajmos.

Hannah El-Hitami ist freie Journalistin und lebt in Berlin. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung von Amnesty International wieder.

Weitere Artikel