Aktuell Kolumbien 05. Mai 2021

Kolumbien: Polizeigewalt gegen friedliche Demonstrierende beenden!

Das Bild zeigt Polizisten in voller Montur, schießen auf Demonstrierende

Mitglieder der kolumbianischen Polizeieinheit "ESMAD" gehen am 1. Mai 2021 in Bogotá brutal gegen Demonstrierende vor, die gegen eine geplante Steuerreform protestieren.

Seit Tagen protestiert die Bevölkerung in Kolumbien gegen Pläne des Präsidenten, das Steuersystem anzupassen. Polizei und Sicherheitskräfte gehen dabei mit willkürlicher und unverhältnismäßiger Gewalt gegen friedliche Demonstrierende vor, wie Recherchen von Amnesty belegen. Das brutale Vorgehen der Sicherheitskräfte muss unverzüglich beendet werden.

Tränengas, Wasserwerfer, tödliche Waffengewalt: Die kolumbianischen Behörden müssen die gewaltsame Unterdrückung der Demonstrationen einstellen, die in den vergangenen Tagen zu zahlreichen Verletzten und mehrere Toten geführt hat. Amnesty International hat audiovisuelles Material untersucht, das die exzessive und unnötige Gewaltanwendung durch die Sicherheitskräfte bei den Demonstrationen zeigt. 

"Die kolumbianischen Behörden müssen umgehend eine unabhängige und unparteiische Untersuchung aller Anzeigen zu exzessiver und unnötiger Gewaltanwendung gegen Demonstrierende durchführen. Dabei sind Dutzende Menschen ums Leben gekommen oder wurden verletzt, es kam zu willkürlichen Inhaftierungen, Folter, sexualisierter Gewalt und Fällen von Verschwindenlassen. Darüber hinaus müssen die freie Meinungsäußerung  und die Medienfreiheit geschützt werden und sichergestellt sein, dass Journalist_innen ihre Tätigkeit ohne Gefahr ausüben können", so Erika Guevara Rosas, Direktorin für die Region Amerikas bei Amnesty International.

Amnesty-Video zur Polizeigewalt in Kolumbien

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Seit dem 28. April kommt es in verschiedenen Landesteilen zu überwiegend friedlichen Demonstrationen gegen den von Präsident Iván Duque vorgelegten Gesetzentwurf zu einer Steuerreform. Die Proteste werden regelmäßig aufgelöst und dies häufig mit Gewalt. Am 1. Mai kündigte der Präsident den Einsatz des Militärs in "den Städten" an, "in denen ein hohes Risiko für die Bevölkerung besteht" und betonte: "Ich möchte eine deutliche Warnung an diejenigen aussprechen, die mittels Gewalt, Vandalismus und Terrorismus versuchen, unsere Gesellschaft einzuschüchtern und glauben, dass sie auf diese Weise die Institutionen zum Einbrechen bringen".

"Die Unzufriedenheit der Bevölkerung mit Wirtschaftsmaßnahmen, die sie als ungerecht empfindet und die ihre Menschenrechte bedrohen könnten, darf nicht, wie von Präsident Iván Duque getan, als Vandalismus und Terrorismus bezeichnet werden und nicht als Entschuldigung benutzt werden, um deren Ausdruck mit Gewalt zu unterdrücken", kommentierte Erika Guevara Rosas.

Zivilgesellschaftliche Organisationen meldeten am 3. Mai insgesamt 26 Todesopfer infolge der Repression durch die Nationalpolizei und 761 willkürliche Inhaftierungen. Außerdem berichteten sie im Zusammenhang mit den Demonstrationen von 142 misshandelten Personen, neun Betroffenen von sexualisierter Gewalt und 56 Opfern des Verschwindenlassens. Dazu kamen Anzeigen wegen Angriffen auf Journalist_innen, insbesondere tätliche Angriffe, willkürliche Inhaftierungen und Zerstörung von Arbeitsmaterial.

Tweet der kanadischen Amnesty-Sektion:

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Amnesty International hat mittels der Analyse und Verifizierung von audiovisuellem Material bei mehreren Gelegenheiten den Einsatz tödlicher Waffen, ebenso wie den wahllosen Einsatz weniger tödlicher Waffen durch die kolumbianische Polizei in verschiedenen Teilen des Landes bestätigt. Zu den hier eingesetzten weniger tödlichen Waffen zählen Tränengas und Wasserwerfer sowie andere Einsatzmaterialien gegen Demonstrierende. So wurde z.B. der Einsatz des Gewehrs Galil Tavorn bei der Auflösung von Demonstrationen in Cali am 30. April identifiziert und auch Polizist_innen, die am 2. Mai in Popayán mit halbautomatischen Waffen auf unbewaffnete Demonstrierende zielten. Außerdem wurde verifiziert, dass am 1. Mai in Bogotá aus einem gepanzerten Fahrzeug mit scharfer Munition geschossen wurde. Der Einsatz jeder dieser Waffen zur Auflösung vom Demonstrationen ist nach internationalen Standards untersagt.

Amnesty International ist der Ansicht, dass die von den Sicherheitskräften verübten Menschenrechtsverletzungen und Völkerrechtsverbrechen nicht vereinzelt oder sporadisch vorkommen, sondern dass diese Art von Menschenrechtsverletzungen eine systematische Vorgehensweise im ganzen Land zeigt.

Der Interamerikanische Gerichtshof für Menschenrechte hat bestimmt, dass die Mitgliedsstaaten der Interamerikanischen Menschenrechtskonvention, dazu zählt auch Kolumbien, "den Einsatz der Streitkräfte zur Kontrolle von Unruhen im Land extrem einschränken müssen, da diese dafür ausgebildet werden, den Feind zu besiegen und nicht für den Schutz und die Kontrolle der Zivilbevölkerung, wie die Ausbildung der Polizeikräfte". 

Auch angesichts von Vorwürfen, dass Demonstrierende bei einigen Protesten Gewalt angewendet haben, haben die Behörden die Pflicht, alle geeigneten Maßnahmen zu ergreifen, um gegen solche Gewalt vorzugehen und gleichzeitig sicherzustellen, dass diejenigen, die friedlich protestieren, diesen Protest fortsetzen können.

Angesichts der Rücknahme des Steuerreformgesetzes und der Ankündigung eines neuen Gesetzes muss die Regierung sicherstellen, dass jede Steuerpolitik, die sie beschließt, im Einklang mit den internationalen Menschenrechtsverpflichtungen Kolumbiens konzipiert und umgesetzt wird. Das bedeutet, dass sichergestellt werden muss, dass die Maßnahmen zeitlich begrenzt, angemessen und verhältnismäßig sind, dass weniger restriktive Alternativmaßnahmen ausgeschöpft werden und dass eine echte Beteiligung der betroffenen Personen und Gruppen gewährleistet ist. Die Regierung sollte dringend eine Bewertung der menschenrechtlichen Folgen dieser Maßnahmen vornehmen, um sicherzustellen, dass sie nicht diskriminierend sind und dass sie insbesondere die Rechte historisch marginalisierter Gruppen wahren und den Kontext der Corona-Pandemie und ihre unterschiedlichen Auswirkungen berücksichtigen.

Angesichts der Ankündigung weiterer Demonstrationen fordert Amnesty International die Behörden auf, das Recht der kolumbianischen Bevölkerung auf friedliche Proteste zu garantieren und erinnert Präsident Iván Duque daran, dass der Einsatz der Streitkräfte zur Kontrolle von Demonstrationen nur das Risiko weiterer Menschenrechtsverletzungen und Verbrechen nach internationalem Recht erhöht.

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