Pressemitteilung Aktuell Afghanistan 11. August 2023

Afghanistan: Systematische Entrechtung von Frauen und Mädchen zwei Jahre nach Machtübernahme der Taliban

Eine Frau mit Kopftuch steht vor einem Taliban, der sie mit der rechten Hand leicht wegschiebt. Um die beiden Personen herum stehen weitere bewaffnete Taliban.

Seit der Machtübernahme der Taliban im August 2021 verschlechtert sich die Menschenrechtslage in Afghanistan stetig. Die Beschneidung der Rechte von Frauen und Mädchen kommt laut Amnesty International möglicherweise einem Verbrechen gegen die Menschlichkeit gleich. Die Bundesregierung muss dringend eine schnelle, lückenlose Umsetzung des Bundesaufnahmeprogramms gewährleisten, damit Menschen, die durch die Taliban gefährdet sind, umgehend Schutz bekommen.

Nachdem die Taliban am 15. August 2021 Kabul einnahmen, kündigten sie zunächst an, Schulen für Mädchen offenzuhalten und Frauen ihre Anstellungen in bestimmten Branchen zu belassen. Theresa Bergmann, Asien-Expertin bei Amnesty International in Deutschland, sagt: "Zwei Jahre später zeigt sich deutlich: Das sind nichts als leere Versprechungen. Die Taliban haben die Rechte von Mädchen und Frauen in nahezu allen Lebensbereichen sukzessive und systematisch abgeschafft. Erst kürzlich kündigten sie an, nun auch Schönheitssalons zu schließen, wodurch ca. 60.000 Frauen ihre Beschäftigung verlieren würden und einer der wenigen noch verbliebenen Rückzugsorte für Frauen in der afghanischen Gesellschaft zerstört würde."

Seit der im Dezember 2021 erlassenen "Mahrahm-Regelung" können sich Frauen in der Öffentlichkeit nicht mehr ohne Begleitung eines ihnen nahestehenden Mannes bewegen. Zugang zu Parks, Sporteinrichtungen und Cafés ist Frauen kurze Zeit später verboten worden. Seit März 2022 dürfen Mädchen ab der siebten Klasse die Schule nicht mehr besuchen – das gilt in keinem anderen Land der Welt. Berichten zufolge soll in manchen Provinzen Mädchen nun sogar der Schulbesuch schon ab dem zehnten Lebensjahr verboten werden. Des Weiteren haben die Taliban in den vergangenen Monaten Frauen den Zugang zu Universitäten und die Arbeit für Nichtregierungsorganisationen sowie für die Vereinten Nationen verboten.

Posting von Amnesty auf "X" (ehemals Twitter):

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Die Taliban nehmen nicht nur Frauen und Mädchen ins Visier, sondern auch Menschenrechtsverteidiger*innen, Aktivist*innen, ehemalige Ortskräfte, Mitarbeitende der früheren Regierung oder Angehörige ethnischer und religiöser Minderheiten. Willkürliche Verhaftungen, Verschwindenlassen, Folter und außergerichtliche Hinrichtungen sind seit zwei Jahren vielerorts an der Tagesordnung, wie Amnesty International in mehreren Berichten festgestellt hat.

Im März dieses Jahres hatte die Bundesregierung alle Visaverfahren für afghanische Staatsbürger*innen vorübergehend eingestellt. Auch das Bundesaufnahmeprogramm wurde ausgesetzt. Seit Ende Juni läuft dieses laut Aussage der Bundesregierung wieder. Doch mit dem im Oktober 2022 gestarteten Programm ist noch keine einzige gefährdete Person aus Afghanistan tatsächlich nach Deutschland gekommen. Die deutsche Botschaft in Islamabad scheint angesichts der sehr hohen Anzahl von Visaanträgen von afghanischen Schutzsuchenden personell unterbesetzt. Ende Juni hat sie gerade einmal drei Visaanträge pro Tag bearbeitet. Dagegen warteten nach Informationen des Auswärtigen Amtes Ende Mai 1.480 Menschen mit Aufnahmezusagen in Iran und Pakistan auf eine Weiterreise nach Deutschland, weitere 12.600 Menschen mit einer Aufnahmezusage befanden sich noch in Afghanistan. Nicht nur schutzsuchende Afghan*innen, die über das Bundesaufnahmeprogramm nach Deutschland kommen dürfen, sondern auch diejenigen, die z.B. ein Recht auf Familiennachzug haben, brauchen eine zügigere Visabearbeitung.

Theresa Bergmann sagt: "Jeder zusätzliche Tag, an dem eine von den Taliban verfolgte Person auf die sichere Ausreise nach Deutschland warten muss, bedeutet für sie ein Risiko und kann sie im schlimmsten Fall das Leben kosten. Die Bundesregierung muss nun alles daransetzen, das Bundesaufnahmeprogramm endlich in die Praxis umzusetzen. Das bedeutet auch, die personellen Ressourcen in der Botschaft in Islamabad signifikant auszubauen."

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